LandschaftsPixel

Der Prozess – The Process
Die Entstehungsgeschichte und Vorgehensweise zu
`Pixel in der Landschaft – bewegte Landeschaft`

von Bianca Buchmann

23.8.2012
Nach der Projektvorstellung und Übergabe der Materialien war das Chaos im Kopf erst einmal perfekt. Plötzlich gab es tausende von theoretischen Gestaltungsmöglichkeiten. Ausgehend von den als Muster und Anregungen gedachten Vorlagen sowie spontan in die Diskussion eingebrachten Ideen setzte sich langsam ein Gedankenkarussell in Gang, immer höher, immer weiter. Die Landschaft, ihre Komponenten, die Ver-änderungen der Erscheinungen durch die Jahreszeiten, die Potenzierung durch die möglichen Farbgebungen, die zulässige Individualisierung durch persönliche Zusätze wie z.B. Sprache, Stickereien, Naturfunde…. Würde die Zeit überhaupt ausreichen für die erforderliche Kanalisierung der schier unendlichen Varianten hin zum konkreten Objekt? Und mein eigener Spielraum ist noch enger, weil ich aus persönlichen Gründen vor dem gesetzten Termin abgeben muss.

24.8.2012
Den heutigen Tag habe ich sofort genutzt für Tagträume. Das ist meine Methode, um aus der Vielfalt möglicher virtueller Bilder diejenigen heraus zu filtern, die vor meinem geistigen Auge Bestand haben. Verworfen wurden Ansätze wie ‚die Farben Afrikas‘ (=Fremdkörper am Hohenkarpfen), ‚Farbenrausch‘ (=befürchte, dass ich das handwerklich nicht stimmig hinbekomme, dass es in Kleckserei ausartet), ‚Blütentraum‘ (=erscheint mir zu brav und konventionell) und viele andere, die ich nicht einmal beim Namen nennen kann. Demgegenüber kristallisieren sich drei Handlungsströme heraus, mit denen ich mich identifizieren kann und die ich testen werde. Dabei handelt es sich um drei primäre Komponenten von Landschaft.
Element Nummer eins: WASSER, als Bach, Rinnsal, Fluss, Tümpel, See, Pfütze, Wasserfall, Moor, Matsch. Zugedachte Farbe: blau mit Schattierungen von weiß, grau, anthrazit zu türkis, grün, petrol, vielleicht perlend oder strömend. Ich will mit dem Effekt von Chlor auf den gefärbten Stoffen experimentieren; in einem türkischen Lebensmittelgeschäft bin ich fündig geworden: ‚versehent-liche‘ Flecken z. B. mit einer Pipette aufgetragen, lineare Verläufe mit Hilfe eines Pinsels hergestellt oder versprühter Nebel, dazu fehlt mir aber noch das erforderliche Werkzeug.
Und das Wasser soll sich aus dem Pixel in die Landschaft ergießen. Ich werde ein Papiermodel anfertigen, wie sich aus Quadraten ein Fluss bauen lässt. Vielleicht  auch einen Kanal entwickeln, der bei dem ebenfalls umzusetzenden Bewegungsgedanken einem Arm Platz böte.
Element Nummer zwei: GRAS. Zuerst kam mir der Gedanke RASEN, aber das ist die gezähmte Version im Garten. Für die Fläche, in der wir uns bewegen, wäre sogar die Bezeichnung WIESE passender. Nur assoziiere ich die gleich wieder mit Blumen - und von diesem Gedanken will ich weg.
GRAS möchte ich einladend weich gestalten, mit strukturierter Oberfläche. Vielleicht zwei Stofflagen mit Schaumstoff oder Vlies dazwischen. Soll noch etwas Duftendes dazu? Getrocknete Blüten, die die Sinne betören? Kräuter, die beleben? Lavendel, sehr intensiv, aber nicht typisch für diese Region? Ist das alles ergänzend oder störend? Ein haptisches Erlebnis möchte ich schaffen mit einzelnen oder bündelweise aufgenähten oder eingeknüpften Fäden; was auf jeden Fall den Einsatz einer der gröberen Stoffarten bedeutet. Grün mit allen Abstufungen wird die dominierende Farbe sein. Ich hoffe sehr, dass sich jemand auf diesem Kissen der Natur ausruhen wird. Ich denke dabei immer an Minnegesang, wo zerdrücktes Gras gerne als Symbol für die Liebe eingesetzt wird.
Element Nummer drei: ERDE. Zuerst kam mir das Wort WALDBODEN in den Sinn, aber ERDE ist umfassender. Sie sie ist roh, vernarbt, rissig, belastbar. Sie kann insbesondere nach Regen einen wunderbaren Geruch verströmen, diesen Aspekt werde ich aber vernachlässigen. Und natürlich ist sie braun! Vielleicht werde ich ein Quadrat in Streifen schneiden und dann wieder zusammennähen, um das Raue zu thematisieren. Vielleicht auch Streifen verdrehen, verschlingen, verknoten. Dann doch in Erinnerung an Waldboden, der von Wurzelsträngen durchzogen ist. Aber auch um einen Höhleneffekt zu kreieren, um einen Zufluchtsort zu gestalten, im Gegensatz zu den nicht-Schutz bietenden Elementen WASSER und GRAS. Man soll sich also in der ERDE verkriechen können – so wie Tiere es tun. Oder sich darin suhlen – wie Wildschweine.
Wenngleich ich die Farbpalette, mit der ich arbeiten möchte, hiermit definiert und auf drei Komponenten reduziert habe, hoffe ich, dass es mir gelingt, keine Villa Kunterbunt entstehen zu lassen sondern ein harmonierendes Farbspiel.

26. 8.2012
Die häuslichen Vorbereitungen für Denken, Färben, Gestalten und Nähen sind abgeschlossen. Mein Dachstudio mit Blick auf die Stadt und die Natur sowie in den Himmel ist der ideale Ort für dieses Projekt. Wobei die feuchten Arbeiten in der Waschküche und der angrenzenden Freifläche stattfinden werden.
Sprache ist mir wichtig als Schlüssel und als Leitmotiv zur Gestaltung. Was macht Landschaft mit uns? Welche Gefühle erweckt sie?
Statement: ERDE erdet. Grounded. Die Verbundenheit mit ihrer Heimat, mit ihrem Ursprung, die viele Menschen hier auszeichnet, wird mir immer etwas fremd bleiben. Ich kenne kein Heimweh, fühle mich in der Welt zuhause. Werde hier folglich immer ein Stück Fremdkörper sein, den Außenblick auf die Dinge haben. Im englischen ‚grounded‘ schwingt etwas von der negativen Seite dieser Verbundenheit mit im Sinne von ‚bewegungsunfähig‘.
Statement: GRÜN beruhigt. Relax. Ich habe GRAS gedanklich durch GRÜN ersetzt, da es neutraler ist. Wir sind von GRÜN umgeben. Das beinhaltet Gärten, Parks, Alleen, Wiesen, Felder, Wälder, also Gestaltetes und ‚vermeintlich‘ Natürliches; ‚vermeintlich‘ da wir größtenteils in einer von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaft leben anstelle von natürlicher Natur. Das GRÜN in der Landschaft ist mit positiven Assoziationen verbunden, seine Weite bietet Freiheit der Gedanken und der Bewegung, es lädt zur Entspannung ein.
Statement: WASSER bewegt. Flowing. Es ist quirlig, träge, sprudelnd, plätschernd, fließend, perlend. Es trägt Dinge und Gedanken mit sich fort von A nach B, sein Ursprung und sein Ende manchmal mysteriös. Es spendet Freude, löscht Durst, bietet Abkühlung. Es dient dem Menschen zur Beförderung von Lasten und als Antrieb. Es bedroht seine Umgebung in Form von Hochwasser. Es besitzt die Fähigkeit der Umwandlung vom Aggregat des Fließenden zum Erstarrten. Es ermöglicht ‚Fort‘Bewegung auch im Sinne von Flucht.
Ob ich den Pixel mit Sprache versehen werde, weiß ich noch nicht.

27.8.2012
Realität und Planung sind zweierlei. Die Stoffe wollen nicht so wie ich es mir vorgestellt habe. Ich habe mit WASSER begonnen. Rand kanteln für die als Verlauf gedachten Quadrate? Wahrscheinlich sinnvoll. Denn ich habe nicht den feinen Stoff sondern ein mittleres Raster genommen, das mehr franst; dafür lässt es sich leicht knüllen, das passt zum Fließgedanken. Ich bekam auch schon Löcher hin im Sinne von Tropfen, aber die sind noch nicht stabil. Da muss ich etwas rabiater werden. Blau und grün gibt es auch bereits als Farbmuster inklusive absichtlicher Chlorflecken. Die Richtung stimmt, erfordert aber noch Feinarbeit; Farbexperimente auf einer Palette sind einfacher. Zur Oberflächen-strukturierung habe ich verschiedene Muster angefertigt, das Ergebnis wirkt aber noch zu dekoriert.

28.8.2012
Erneute gemeinsame Lagebesprechung. Die auf der Leine im Wind flatternden Stoffe haben mich berührt, ich werde aber zuhause färben.

29.8.2012
Der Durchbruch. Nach dem Treffen am Dienstag habe ich mich noch einmal intensiv mit dem Gedanken des Pixels als Körperhülle befasst und werde eine Art Mantel schaffen. Ein Papiermodell steht, zugegebenermaßen mit noch zwei oder drei offenen Punkten, die sind dann in der Realität des Objektes zu lösen. Die Oberflächen der ERDE sind nun rein mit den übergebenen Materialien entstanden, selbst Nähfehler und verhakte Fäden haben mitgeholfen, den von mir gewünschten Effekt zu erzielen. Farbpunkte im GRÜN sind nun konsequent auch  als Minipixel entstanden und entsprechen damit dem allgemeinen Gestaltungsprinzip. Alle Teile sind geschnitten und gefärbt. Ich bin verliebt in die Farben.

2.9.2012
Unglaublich. Jeder der den drei Elementen von mir zugeordnete Stoff hat beim Trocknen eine der Themenstellung förderliche Strukturierung angenommen. Bügeln ist jetzt nahezu kontraproduktiv, nur die Knicke vom Aufhängen und die Nähte erfordern Bearbeitung. Die schlechte Nachricht: alle sind eingegangen. Ich habe zu wenig Vlies gekauft fürs grüne Kissen, sonst wären die Näharbeiten heute abgeschlossen worden. Die meisten Kanten habe ich roh gelassen, denn weder ERDE noch WASSER haben in der Landschaft feste Konturen.
In der Originalgröße und mit den vorgesehenen Stofflagen wird der Pixel zum Anziehen ganz schön schwer. Deshalb hat der Mantel noch eine Kapuze bekommen, quasi ein rotes Dach in der Landschaft. Dies übrigens mit Säumen, denn es ist das Ergebnis menschlicher Präzision.

4.9.2012
Der Pixel ist nahezu fertig, hat noch einige grobe Stütznähte damit sich die Stofflagen dem Faltprinzip besser einfügen. Das Objekt ist schwer geworden, und seine Manipulierbarkeit als bewegtes Objekt gar nicht so einfach, obwohl ich mich beim Aufbau der Stofflagen sehr an der gewünschten Mobilität orientiert habe. Ich habe deshalb beispielsweise überwiegend nach oben klappbare Elemente gewählt, da alles andere unten quasi als Fetzen heraushängen würde. Und der Pixel folgt primär der Form eines Buches, was ich ursprünglich eher vermeiden wollte, da ich es als wenig kreativ empfand.
Im Einzelnen hat er nun folgenden Aufbau.
Die Außenhülle ist links wie die Seiten eines Druckwerks mit allen Innenlagen fest verbunden. Zuerst stößt der Betrachter auf das Element WASSER, in drei Bahnen wie ein umgekehrtes ‚U‘. Somit ergibt sich in der Mitte ein Ausblick auf die ERDE. Die Fließbewegung des Wassers entsteht durch Auslegen der linken Bahn sowie der rechts oben versteckt eingenähten Minipixel, aus denen sich ein Seitenarm herstellen lässt. Durch vernähte Ecken entsteht ferner der Effekt von Seen oder Unterwasserbecken. Durch das Auftragen von Bleiche während des Färbens wurde außerdem eine changierende Oberflächenwirkung erzielt.
Als nächstes erfährt der Betrachter das Element ERDE, doppelseitig in verschiedenen kräftigen Brauntönen gestaltet mit rauer, strukturierter Oberfläche. Ein Viertel der jeweiligen Stoffbahnen wurde nach innen umgeklappt und mit diversen Öffnungen versehen. Dadurch ergeben sich Ein-und Durchblicke aber auch Höhlen. Alles kann von Armen (und Beinen) durchdrungen werden und erlaubt es, sich mit dem Objekt sowohl stehend als auch liegend schützend zu umhüllen. Mittig ist in kräftigem rot ein Quadrat eingefügt, das umgestülpt ein Hausdach symbolisiert, aber auch wie eine Kapuze getragen werden kann.
Abschließend gelangt der Betrachter ins GRÜN. Auf den ersten Blick ist es eine farblich monochrome Fläche, nur von einigen wenigen Stepppunkten in Form von Quadraten unterbrochen. Beim Anfassen zeigt sich seine weiche, zum Entspannen einladende Qualität, im offensichtlichen Gegensatz zur eher abweisendenden ERDoberfläche. Durch Umklappen entpuppt sich das Ganze als Ruhekissen mit farbigen Pixeln, die die Assoziation an Blüten wachrufen sollen.

Die Gestaltung des Pixels war eine Herausforderung, die ich gerne angenommen habe. Für die Einladung zur Teilnahme an dem Projekt bedanke ich mich bei den Initiatoren, ebenso für die konsequente und unterstützende Begleitung.  Die Interaktion mit den anderen Schaffenden war ebenfalls bereichernd, zu einigen wird der Kontakt mit Beendigung der Aktion sicherlich nicht abbrechen.

Kunstfest
Hohenkarpfen

Samstag, 15. Sept. 2012

Impresari
Susanne Ritzi-Mathé —>
Günter Ritzi

Künstlerische Leitung
Ingrid Burgbacher-Krupka —>
Elisabeth Gutjahr —>

 

 


Bianca Buchmann, eine der Nachbarinnen des Hohenkarpfen aus Tuttlingen

Der Prozess – The Process
Die Entstehungsgeschichte und Vorgehensweise zu
`Pixel in der Landschaft – bewegte Landeschaft`

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